In den düsteren Laboren der Pariser Universität, inmitten von Glasröhren und mysteriösen Kristallen, führte eine zierliche Frau mit unerschütterlicher Entschlossenheit eine stille Revolution in der Wissenschaft an. Marie Skłodowska Curie, geboren am 7. November 1867 in Warschau, Polen, sollte zu einer der berühmtesten Wissenschaftlerinnen der Geschichte werden – die erste Person, die zwei Nobelpreise in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen erhielt.
Von Polen nach Paris: Der Kampf um Bildung
Marie Curies Geschichte beginnt in einem geteilten Polen unter russischer Herrschaft, wo höhere Bildung für Frauen verboten war. Als Tochter eines Physiklehrers zeigte sie früh eine Begabung für Mathematik und Naturwissenschaften. Nach dem Abschluss ihrer Schulbildung mit Auszeichnung arbeitete sie als Hauslehrerin, um Geld für ihre Schwester Bronias Medizinstudium in Paris zu sparen – mit der Vereinbarung, dass diese später für Maries Studium aufkommen würde.
Im Alter von 24 Jahren packte Marie schließlich ihre wenigen Habseligkeiten und reiste mit dem Zug nach Paris, um an der Sorbonne Physik und Mathematik zu studieren. Sie lebte in einer unbeheizten Dachkammer, studierte bis spät in die Nacht und ernährte sich oft nur von Tee und Brot. Trotz dieser Entbehrungen schloss sie ihr Physikstudium als Jahrgangsbeste ab und erwarb kurz darauf einen zweiten Abschluss in Mathematik.
„Nichts im Leben ist zu fürchten, es ist nur zu verstehen. Jetzt ist es an der Zeit, mehr zu verstehen, damit wir weniger fürchten müssen.“
Eine wissenschaftliche Partnerschaft und Liebesgeschichte
1894 begegnete Marie dem Physiker Pierre Curie. Was als berufliche Zusammenarbeit begann, entwickelte sich bald zu einer tiefen Liebe und intellektuellen Partnerschaft. Ein Jahr später heirateten sie in einer einfachen Zeremonie – Marie trug ihr blaues Laborkleid, das auch später als Arbeitskleidung dienen sollte. Diese Ehe markierte den Beginn einer der produktivsten wissenschaftlichen Partnerschaften der Geschichte.
Für ihre Doktorarbeit entschied sich Marie, die mysteriösen Strahlen zu untersuchen, die Henri Becquerel kurz zuvor bei Uranverbindungen entdeckt hatte. Pierre stellte ihr ein improvisiertes Labor in einem unbeheizten Schuppen zur Verfügung. Hier begann Marie, systematisch verschiedene Elemente auf ihre „Strahlungsfähigkeit“ zu untersuchen – ein Begriff, den sie selbst prägte und als „Radioaktivität“ bezeichnete.

Die Entdeckung neuer Elemente
Maries Entdeckungen waren bahnbrechend. Sie fand heraus, dass die Strahlung eine Eigenschaft der Atome selbst war, nicht das Ergebnis einer chemischen Reaktion. Bald stellte sie fest, dass zwei Mineralien – Pechblende und Chalkolith – stärker strahlten als reines Uran. Die logische Schlussfolgerung: Sie mussten unbekannte, hochradioaktive Elemente enthalten.
Was folgte, war eine vierjährige Odyssee harter körperlicher Arbeit. Die Curies verarbeiteten tonnenweise Pechblende, kochten und filtrierten das Material in einem mühsamen chemischen Trennungsprozess. 1898 verkündeten sie die Entdeckung eines neuen Elements, das sie nach Maries Heimatland „Polonium“ nannten. Wenige Monate später entdeckten sie ein zweites, noch stärker strahlendes Element, das sie „Radium“ tauften – benannt nach dem lateinischen Wort für „Strahl“.
„Ich bin eine von denen, die glauben, dass Wissenschaft eine große Schönheit besitzt.“
Nobelpreise und Tragödien
1903 wurden Marie und Pierre Curie gemeinsam mit Henri Becquerel mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Marie war die erste Frau, die diesen prestigeträchtigen Preis erhielt. Doch das Glück war nur von kurzer Dauer. 1906 wurde Pierre bei einem tragischen Verkehrsunfall getötet, als er von einem Pferdefuhrwerk überrollt wurde. Marie, nun alleinerziehende Mutter zweier Töchter, war am Boden zerstört.
Trotz ihrer Trauer übernahm sie Pierres Lehrstuhl an der Sorbonne und wurde damit die erste Professorin der Universität. Sie widmete sich mit noch größerer Entschlossenheit ihrer Forschung. 1910 gelang es ihr, reines Radium zu isolieren und dessen Atommasse zu bestimmen – eine wissenschaftliche Leistung, für die sie 1911 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde. Sie ist bis heute die einzige Person, die Nobelpreise in zwei verschiedenen Naturwissenschaften erhalten hat.
Pionierarbeit in der Medizin und im Ersten Weltkrieg
Marie Curies Forschung hatte auch unmittelbare praktische Anwendungen. Sie erkannte das Potenzial der Radioaktivität für medizinische Zwecke, insbesondere zur Behandlung von Krebs. Während des Ersten Weltkriegs entwickelte sie mobile Röntgeneinheiten, die auf Fahrzeugen montiert wurden – die berühmten „Petits Curies“ (Kleine Curies). Sie selbst fuhr an die Front, um verwundete Soldaten zu röntgen, und bildete Frauen als Röntgentechnikerinnen aus.
Nach dem Krieg gründete Marie das Institut Curie in Paris, das noch heute ein weltweit führendes Zentrum für Krebsforschung ist. Sie reiste durch Europa, Amerika und sogar nach Brasilien, um Geld für die Forschung zu sammeln und ihr Wissen zu teilen.
Ein strahlendes Vermächtnis
Die intensive Arbeit mit radioaktiven Substanzen forderte jedoch ihren Tribut. Marie Curie litt zunehmend unter gesundheitlichen Problemen, darunter Katarakte und chronische Müdigkeit. Am 4. Juli 1934 starb sie an aplastischer Anämie, einer Erkrankung, die heute als Folge der langjährigen Strahlenexposition angesehen wird.
Ihr wissenschaftliches Erbe lebte jedoch weiter. Ihre ältere Tochter Irène folgte ihren Fußstapfen und erhielt 1935 gemeinsam mit ihrem Ehemann Frédéric Joliot einen Nobelpreis für Chemie. Marie Curies Notizbücher sind bis heute so stark radioaktiv kontaminiert, dass sie in bleigefütterten Behältern aufbewahrt werden und nur mit Schutzkleidung eingesehen werden können.
Marie Curie war eine Pionierin in vielerlei Hinsicht – als Wissenschaftlerin, als Frau in einem männerdominierten Feld und als Vorbild für Generationen von Forscherinnen und Forschern. Ihr Leben verkörpert die unerschütterliche Suche nach Wissen, trotz enormer persönlicher und gesellschaftlicher Hindernisse. Ihr Name ist nicht nur mit bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckungen verbunden, sondern auch mit Mut, Ausdauer und der unermüdlichen Suche nach Wahrheit.
Steckbrief: Marie Curie
- Geboren: 7. November 1867 in Warschau, Polen (damals Teil des Russischen Reiches)
- Gestorben: 4. Juli 1934 in Passy, Frankreich (66 Jahre)
- Geburtsname: Maria Salomea Skłodowska
- Ausbildung: Abschlüsse in Physik und Mathematik an der Sorbonne, Paris
- Entdeckungen: Die chemischen Elemente Polonium und Radium; Grundlagenforschung zur Radioaktivität
- Nobelpreise: Physik (1903, gemeinsam mit Pierre Curie und Henri Becquerel), Chemie (1911)
- Familie: Ehemann Pierre Curie (1859-1906), Töchter Irène (1897-1956) und Ève (1904-2007)
- Weitere Auszeichnungen: Davy-Medaille, Copley-Medaille, Willard-Gibbs-Medaille
- Institutionen: Gründerin des Curie-Instituts in Paris (1914) und Warschau (1932)
- Medizinische Beiträge: Pionierarbeit in der Radiologie und Strahlentherapie; Entwicklung mobiler Röntgeneinheiten im Ersten Weltkrieg
- Ehrungen: Nach ihr benannt sind das chemische Element Curium, der Asteroid 7000 Curie, der Mondkrater Curie und zahlreiche Institutionen weltweit
Empfehlenswerte Bücher und Kurse
Bücher:
- „Marie Curie: Eine Biographie“ von Barbara Goldsmith – Eine umfassende Darstellung ihres Lebens und ihrer wissenschaftlichen Arbeit
- „Marie Curie und ihre Töchter: Frauen, die die Welt veränderten“ von Shelley Emling – Beleuchtet auch das Leben ihrer Töchter Irène und Ève
- „Madame Curie: Eine Biographie“ von Ève Curie – Die persönliche Biographie, geschrieben von Marie Curies jüngerer Tochter
- „Marie Curie und das Rätsel der Atome“ von Luca Novelli – Ein ideales Buch für jüngere Leser und Bildungseinrichtungen
- „Radioactive: Marie & Pierre Curie: A Tale of Love and Fallout“ von Lauren Redniss – Eine einzigartige grafische Biographie mit kunstvollen Illustrationen
Quellen:
- Goldsmith, Barbara: „Marie Curie: Eine Biographie“, 2005
- Curie, Ève: „Madame Curie: Eine Biographie“, 1937
- Quinn, Susan: „Marie Curie: A Life“, 1995
- Emling, Shelley: „Marie Curie und ihre Töchter“, 2012
- Nobel-Stiftung: Offizielle Biographien und Nobelpreisreden
- Institut Curie: Archivmaterialien und historische Dokumente
- Musée Curie, Paris: Ausstellungsmaterialien und Forschungsberichte