Während in den 1930er Jahren der Zweite Weltkrieg am Horizont drohte, bastelte ein junger deutscher Bauingenieur in der Wohnstube seiner Eltern in Berlin an einer Maschine, die die Welt für immer verändern sollte. Sein Name: Konrad Zuse. Seine Erfindung: der erste programmierbare Computer der Welt.
Doch während Namen wie Alan Turing und John von Neumann in der Geschichte der Computertechnologie glänzen, bleibt Zuse oft im Schatten – zu Unrecht, denn seine Innovationen waren ihrer Zeit weit voraus und legten den Grundstein für die digitale Revolution.
Von der Langeweile zur Revolution
Die Geschichte von Konrad Zuse beginnt mit… Langeweile. Als frischgebackener Bauingenieur war er frustriert von den endlosen, repetitiven Berechnungen, die sein Beruf erforderte. „Es muss doch einen besseren Weg geben,“ dachte er sich – und begann 1935 mit der Arbeit an einer Maschine, die ihm diese lästigen Berechnungen abnehmen könnte.
Ohne finanzielle Unterstützung, mit begrenzten Ressourcen und mitten im Aufstieg des Nationalsozialismus konstruierte Zuse in der Wohnstube seiner Eltern den Z1 – einen rein mechanischen Rechner, der bereits viele Prinzipien moderner Computer enthielt.
„Der unwiderstehliche Drang, eine Rechenmaschine zu bauen, kam aus meiner Faulheit. Ich war zu faul zum Rechnen.“
Der Z3: Der erste funktionsfähige Computer der Welt
Nach den teilweise erfolgreichen Prototypen Z1 und Z2 gelang Zuse 1941 der Durchbruch: der Z3, der als erster voll funktionsfähiger, programmgesteuerter Computer der Welt gilt – und das zwei Jahre vor dem amerikanischen ENIAC, der oft fälschlicherweise als erster Computer bezeichnet wird.
Der Z3 war ein Wunderwerk der Technik, besonders wenn man die Umstände seiner Entstehung bedenkt. Zuse baute ihn größtenteils aus ausrangierten Telefon-Relais, da Metall während des Krieges rationiert war. Die Maschine konnte Zahlen im Binärsystem verarbeiten, hatte einen Speicher und konnte programmiert werden – grundlegende Eigenschaften, die wir heute mit Computern verbinden.
Doch der Z3 hatte noch eine weitere revolutionäre Eigenschaft: Er arbeitete mit einer Gleitkomma-Arithmetik, die es ermöglichte, sowohl sehr große als auch sehr kleine Zahlen präzise zu verarbeiten – ein Konzept, das bis heute in modernen Computern verwendet wird.

Plankalkül: Die vergessene Programmiersprache
Als ob die Erfindung des Computers nicht genug wäre, entwickelte Zuse während des Krieges auch noch die erste höhere Programmiersprache der Welt: Plankalkül (Plan Calculus). Diese Sprache war ihrer Zeit so weit voraus, dass sie erst 1972 vollständig implementiert wurde – fast 30 Jahre nach ihrer Konzeption.
Plankalkül enthielt bereits Konzepte wie Variablen, bedingte Anweisungen und Schleifen – Grundlagen, die heute in allen modernen Programmiersprachen zu finden sind. Zuse entwarf sie, um komplexe Algorithmen für seine Rechenmaschinen zu formulieren, darunter auch ein Schachprogramm – lange bevor der Begriff „künstliche Intelligenz“ geprägt wurde.
„Ich war allein, völlig isoliert. Die Ideen, die ich hatte, entwickelten sich ohne Einfluss von außen.“
Krieg, Zerstörung und Neuanfang
Die Kriegsjahre brachten für Zuse sowohl Chancen als auch Rückschläge. Einerseits wurde sein Talent von den Behörden erkannt, was ihm half, vom Kriegsdienst freigestellt zu werden. Andererseits wurde der Z3 1944 bei einem alliierten Bombenangriff auf Berlin zerstört – ein Schicksal, das auch viele seiner Pläne und Dokumente teilten.
Nach dem Krieg flüchtete Zuse nach Hünfeld in Hessen und gründete 1949 die Zuse KG, eines der ersten Computerunternehmen der Welt. Mit dem Z4, einem weiterentwickelten Computer, den er in den letzten Kriegstagen retten konnte, gelang ihm ein Neuanfang. Der Z4 wurde 1950 an die ETH Zürich vermietet und war damit der erste kommerzielle Computer in Europa.
Konrad Zuse: Steckbrief
- Geboren: 22. Juni 1910 in Berlin
- Gestorben: 18. Dezember 1995 in Hünfeld (85 Jahre)
- Ausbildung: Bauingenieurwesen an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg
- Wichtigste Erfindungen: Z1 (1938), Z3 (1941) – erster funktionsfähiger programmgesteuerter Computer, Plankalkül – erste höhere Programmiersprache
- Unternehmen: Gründer der Zuse KG (1949), später von Siemens übernommen
- Auszeichnungen: Werner-von-Siemens-Ring, Bundesverdienstkreuz, mehrere Ehrendoktortitel
- Weniger bekannt: Zuse war auch ein talentierter Maler und schuf hunderte Kunstwerke
- Lebensmotto: „Der Lauf der Dinge hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die wir Zufall nennen. Aber in Wirklichkeit könnte man alles berechnen, wenn man nur genug wüsste.“
Das vergessene Genie
Trotz seiner bahnbrechenden Erfindungen blieb Zuse international lange Zeit weitgehend unbekannt. Während des Kalten Krieges wurde die Computergeschichte hauptsächlich aus amerikanischer und britischer Perspektive geschrieben, wodurch Zuses Beiträge oft übersehen wurden.
Die Zuse KG konnte sich trotz innovativer Produkte nicht gegen die aufkommende Konkurrenz aus den USA behaupten und wurde 1964 von Siemens übernommen. Zuse selbst zog sich danach aus dem aktiven Geschäftsleben zurück und widmete sich der Weiterentwicklung seiner Ideen, dem Schreiben und der Malerei – einer Leidenschaft, die er sein Leben lang pflegte.
Erst in den späten 1980er und 1990er Jahren erhielt Zuse allmählich die internationale Anerkennung, die ihm gebührte. 1995, im Jahr seines Todes, wurde er in die Hall of Fame der deutschen Forschung aufgenommen.
„Ich war zu früh, zu isoliert und hatte zu wenig Geld.“
Das Vermächtnis des Visionärs
Konrad Zuse starb 1995 im Alter von 85 Jahren, doch sein Erbe lebt weiter. Die Grundprinzipien seiner Maschinen – Binärdarstellung, Speicherung von Daten und Programmen, Gleitkomma-Arithmetik – finden sich in jedem modernen Computer wieder.
Sein Lebenswerk ist ein Beweis für die Macht der Vision und der Beharrlichkeit. Ohne große Ressourcen, ohne akademische Unterstützung und inmitten eines verheerenden Krieges schuf Zuse etwas, das die Welt für immer veränderte.
Heute, im digitalen Zeitalter, in dem Computer unser tägliches Leben durchdringen, ist es wichtiger denn je, dem stillen Genie die Anerkennung zu zollen, die es verdient. Denn ohne Konrad Zuse und seine Wohnstube in Berlin wäre unsere heutige Welt wohl eine ganz andere.
Buchtipps und Ressourcen
- „Der Computer – Mein Lebenswerk“ von Konrad Zuse – Die Autobiografie des Erfinders, die tiefe Einblicke in seine Denkweise und sein Schaffen bietet.
- „Konrad Zuse: Der Vater des Computers“ von Jürgen Alex – Eine fundierte Biografie mit zahlreichen historischen Dokumenten.
- „Die Rechenmaschinen von Konrad Zuse“ von Raúl Rojas – Eine technische Analyse der Zuse-Computer mit Fokus auf ihre Architektur und Funktionsweise.
- Online-Kurs: „Pioniere der Computertechnik: Von Zuse bis Gates“ – Ein umfassender Überblick über die Geschichte der Computertechnologie, mit besonderem Augenmerk auf Zuses Beiträge.
- „Plankalkül: Die erste höhere Programmiersprache“ – Eine wissenschaftliche Einführung in Zuses revolutionäres Konzept der Programmierung.
Quellen
- Zuse, Konrad (1993): „Der Computer – Mein Lebenswerk“. Springer-Verlag.
- Deutsches Museum München, Zuse-Archiv
- Rojas, Raúl (1998): „Die Rechenmaschinen von Konrad Zuse“. Springer-Verlag.
- Petzold, Charles (2000): „Code: The Hidden Language of Computer Hardware and Software“. Microsoft Press.
- Zuse-Institut Berlin, Archivmaterialien
- IEEE Annals of the History of Computing, Sonderausgabe zu Konrad Zuse (1997)
- Interview mit Horst Zuse (Sohn von Konrad Zuse) im Computerhistorischen Museum, Mountain View, USA